„Steckt viel mehr Geld in die Öffis!“
Das Interview als Textfassung:
Das VRS-Gespräch soll Menschen eine Bühne bieten. Menschen, die sie verdienen, die etwas Wichtiges und Interessantes zu erzählen haben. In heimeliger Atmosphäre zu Hause in Wipperfürth unterhielt sich „ne bergische Jung“ Willibert Pauels mit VRS-Geschäftsführer Michael Vogel über ÖPNV auf dem Land, Corona und die Rolle der Kirche sowie die „Höllenkrankheit“ Depression.
Bergischer Diakon trifft „Papst“
Willibert Pauels (WP): Ah, die Öffis! Herr Vogel! (beide lachen) Bitte schön, nehmen Sie reichlich Platz.
Michael Vogel (MV): Vielen Dank Herr Pauels. Wir sind jetzt hier im schönen Oberbergischen, umgeben von idyllischer Landschaft. Das Bergische zieht sich durch Ihre Biografie, denn Sie sind der „Bergische Jung“ – und als solcher im Karneval bekannt.
WP: Richtig!
MV: Und in diesem Sinne freue ich mich sehr, hier sein zu dürfen.
WP: Und ich sage, ja, herzlich willkommen hier bei uns zu Hause, herzlich willkommen, Herr Vogel, der Papst des ÖPNV!
MV: Ohoho!
WP: Oder der Öffis, wie man ja so schön sagt…
MV: Schön, hier zu sein. Wir haben das Bergische Land schon etwas kennengelernt auf der Anreise, die nicht ganz unproblematisch war… Jetzt könnte ich natürlich direkt Werbung für den öffentlichen Nahverkehr machen – „Wären wir mit dem Bus gekommen – aber der Bus dürfte auch nicht durchgekommen sein…
WP: Ja und da der Bus nur zweimal am Tag, glaube ich, kommt, ist genau dass das Problem. Und hier mein Appell: Steckt viel mehr Geld in die Öffis! Steckt viel mehr Geld in die Öffis, denn das ist echt ein Problem auf dem Land. Aber alles, was Wert hat, macht Mühe. Alles! Und da muss man sich entscheiden, ja? Und wer, wenn nicht die wohlhabenden Länder können Vorreiter sein, in wirklich einer eindeutigen und radikalen Umkehr zur Schiene. Das ist also mein Wunsch.
MV: Die Politik, die hier vor Ort handelt und auch die Unternehmen, die hier aktiv sind, sind extrem engagiert, den ÖPNV auch im ländlichen Raum voranzubringen, aber es braucht dafür einfach noch einen größeren Aufschlag an finanziellen Mitteln.
WP: Klar!
MV: Weil hier im ländlichen Raum wird sich das nie annähernd rechnen.
WP: Nee. Nie!
MV: Und deswegen wird das noch eine große Herausforderung. In dem Sinne, nutzen Sie den Bus wahrscheinlich dann weniger, erstmal?
WP: Ich muss leider sagen: gar nicht. Denn wo muss ich jetzt hin – zum Arbeitsplatz? Das war, bevor ich pensioniert wurde, Gummersbach. Aber ich fahre natürlich viel zu Auftritten. Das ist immer noch viel, obwohl ich im Karneval ganz massiv reduziert habe. Ich hatte mal 300 Auftritte pro Session, jetzt im Karneval so 30, ich suchte mir die genau aus. Aber übers Jahr eben auch noch viele Auftritte in Solo-Programmen und da brauche ich meinen Pkw und deshalb fahre ich leider gar nicht mit dem Bus in den letzten Jahren. Aber ich fahre gerne zum Beispiel nach Düsseldorf, da habe ich Freunde – darf man als Kölner Büttenredner eigentlich nicht sagen, ist aber so, ist eine wunderschöne Stadt – aber auch da gilt: mit Öffis von hier aus nicht. Aber Gott sei Dank von Bergisch Gladbach. Da fährt die S-Bahn ja sogar direkt bis Düsseldorf.
„Klimaschutz muss Vorrang haben!“
MV: Die wollen wir ja auch verdichten, also da sind wir dran. Wir wollen die S-Bahn zweigleisig ausbauen nach Bergisch Gladbach… und das wird dann Teil des Ausbaus des Bahnknotens Köln.
WP: Ja, das ist ja wirklich ein Knoten, der sehr verworren ist.
MV: Ja, das kann man wohl sagen und das ist vielschichtig. Er ist das Drehkreuz des Westens und bestimmt letztlich die Pünktlichkeitslage im ganzen deutschen Fernbahnnetz.
WP: Ich bin persönlich der Meinung, dass Klimaschutz absoluten Vorrang hat und damit auch die Öffis und dass nicht dauernd blockiert wird, sobald man eine neue Trasse legen will. Ist meine persönliche Meinung. Und für mich eine der schönsten Geschichten – die schönsten Geschichten schreibt ja das Leben – im Norden, da lebten sieben geschützte, sogenannte Wild-Trappen große, große…
MV: Großtrappen!
WP: Großtrappen, so heißen die.
MV: Das war die Neubaustrecke nach Berlin.
WP: Genau! Dann ist für Millionen ein Schutzwall oder Tunnel gebaut worden für die Großtrappen, und als der fertig war, waren die Großtrappen weg, weil der Fuchs sie gefressen hat – da könnt` ich mich fott schmieße! (lacht) Aber Klimaschutz ist der dringendste Umweltschutz überhaupt. Und das MUSS Vorrang haben! Auch vor der Großtrappe.
Offene Worte über eine versteckte Volkskrankheit
MV: Bei Ihnen jetzt außerhalb der Karnevalssession...?
WP: Also ich bringe die positive Sicht von Religion rein, natürlich viel Humor, viel Kabarett und – das ist für viele ganz ungewöhnlich und ich war auch am Anfang unsicher – meine Erfahrungen mit der Höllenkrankheit Depression. Ich musste erst erfahren, dass allein in Deutschland fünf Millionen Menschen an einer schweren Depression leiden. Das ist also wirklich eine Volkskrankheit. Das heißt, jeder kennt zumindest jemanden, der an dieser unheimlichen Krankheit leidet. Und ich durfte erfahren, dass es sehr, sehr gut behandelbar ist. Es liegt aber immer noch so ein Tau von Scham, Mehltau von Scham, über dieser Krankheit – da spricht man nicht drüber. Und das ist genau der Fehler. Deshalb habe ich auch mein Buch geschrieben – wenn ich das mal zeigen darf. 2013 war ich in der Klinik. Und das Buch hat schon sehr, sehr vielen geholfen und deshalb – nicht, weil ich viel Geld daran verdiene – sage ich das: Es ist sehr gut behandelbar, wenn man in professionelle Hände geht. Diese Erfahrung der heilenden Kraft einer guten psychiatrischen Behandlung – das will ich einfach auch sagen, mache das natürlich auch lustig.
MV: Ich teile Ihre Ansicht. Wir sind von sehr vielen Menschen umgeben, die depressiv sind, die sich nicht zu erkennen geben. Man merkt das dann in der Arbeitswelt, wenn Leute lange Zeit ausfallen und wenn dann herauskommt, es geht da um eine Depression, dann spürt man erst mal, wie schwer und wie nachhaltig diese Erkrankung ist, wie lange die Leute da ausfallen.
WP: Das ist eine schwere Krankheit. Und das ist eine der größten Tragiken: Dass man immer noch meint, das ist ein Makel, „der reißt sich nicht genug zusammen“.
MV: Ja, genau.
WP: Erstmal muss man wissen, dass eine Depression immer eine organische Ursache hat, das heißt eine Stoffwechselstörung im Gehirn. Mein Arzt in der Klinik versuchte es mir so zu erklären: Herr Pauels, wenn sie eine Stoffwechselstörung in der Bauchspeicheldrüse haben, können Sie davon zuckerkrank werden. Sie wissen doch, was Zuckerkrankheit ist, und dann sagte ich, ich kenne sogar einen Witz darüber…
Erzählen Se!
Is ein bisschen vulgär!
Egal ich bin Arzt, erzählen Se!
Richtig! Treffen sich zwei Rheinländer, sagt der eine »Hör mal, der Doktor hat gesagt, ich habe Zucker«.
»Wat häss du? Zucker?«
»Ja, ich hab Zucker.«
»Hähä, der hätt Zucker! Woran häste denn dat jemerkt??«
»Ja, ich hatte immer so weiße Flecken in der Unterhose.«
Da sagt der andere: »Oh Scheiße, dann hab ich Zimt.« Tää-täääää! (beide lachen)
Also eine Stoffwechselstörung, zunächst einmal. Und alle Stoffwechselstörungen können zum großen Teil schon mal medikamentös behandelt werden. Das ist aber nur der eine Flügel. Der andere ist tatsächlich Psychotherapie und nur mit zwei Flügeln kann sich der Phönix aus der Asche erheben. Das heißt, die gesündeste Perspektive der Gedanken ist eine Perspektive über den Dingen. Und das macht sowohl die Religion – das ist die radikalste Perspektive über den Dingen, weil sie sogar über dem Tod steht. Dann habe ich in der Psychotherapie gelernt, dass die gesündeste Perspektive ist, wenn du über den angstmachenden Dingen stehen kannst. Muss man trainieren! Und es ist natürlich im Humor. Der Humor steht immer über den Dingen. Immer.
MV: Jetzt haben wir natürlich gerade eine große Phase der Angst überstanden, beziehungsweise wissen wir noch nicht…
WP: Wissen wir noch nicht. Das Schlimmste, was in der Zeit gemacht wurde: Aus einer alarmistischen Angst vor diesem Virus, mussten Menschen alleine und ohne Begleitung sterben.
MV: Wie sehen Sie da die Rolle der Kirchen? Also ich hab‘…
WP: Ziemlich schwach!
MV: … oft gedacht: so einer der wichtigsten Grundsätze – weil, ich war auch Katholik, ich war auch Messdiener und ich kannte dieses: „Fürchtet euch nicht!“
WP: Im Gegenteil, sie hat es oft gesagt „Fürchtet Euch!“ Früher: vor der Hölle. Hat auch mit Angst gearbeitet. Aber Angst ist das Schlimmste, was es gibt! Religion muss in die Freiheit führen und da darfst du nicht mit einer Hölle drohen.
MV: Das ist perfide bis zum Anschlag.
WP: Das Allerschlimmste! Wenn wir keine Entscheidungsfreiheit hätten, wäre die Liebe nicht echt. Weil Liebe ist nur dann echt, wenn das innerste Wesen der Liebe die Freiheit ist. Und das macht die Kirche seit Jahrzehnten falsch. Sie gibt Ratschläge zu allem Möglichen, wo sie sich raushalten soll. Sie soll sich zum Beispiel aus der Sexualität, aus den Betten raushalten, mit der einen Ausnahme: Immer, wenn ihr etwas tut, was der Liebe widerspricht, dann sündigt Ihr. Jesus hat gesagt, ein Gebot gebe ich euch, eins: Liebet einander. Punkt! Bei der Kirche darf Moral nicht der Kern sein, sondern genau diese Botschaft: du brauchst keine verzweifelte Angst zu haben, denn letztlich kann dir nichts passieren. Du hast eine Seele, deine Seele ist kostbarer als das ganze Universum, einmalig. Und nichts kann deine Seele zerstören.
MV: Machen Sie mit dem Buch, mit Ihrer Erfahrung noch im Bereich von Depressionen irgendwas? In Selbsthilfegruppen?
WP: Ich werde oft eingeladen von Organisationen, die sich um die Psyche, um Depressionen kümmern. Und noch mal: Es ist sehr gut behandelbar! Bitte sagen Sie es den Menschen, die unglaublich leiden unter diesem Zustand, den sie selber nicht erklären können! „Ich kann nicht mehr lachen.“ Das ist furchtbar!
MV: Ich bin sehr beeindruckt von der Verbindung, die Sie schaffen zwischen Humor, Philosophie, Spiritualität, Religiosität und ich glaube, das macht Ihren Charakter und Ihre Stärken aus und das, was ich bei Ihnen als Menschenfänger bezeichnen würde im positivsten Sinne. Und das auf eine unglaublich sympathische und angenehme Art.
WP: Ich danke sehr für die lieben Worte – Menschenfänger ist für mich positiv besetzt. Und es war auch für mich sehr interessant. Vor allen Dingen, weil es mir aus den besagten Gründen ein Herzensanliegen ist, für die Öffis zu werben.
MV: Vielen Dank! Sie sind ein wunderbares Aushängeschild, ein wunderbarer Werbepartner für uns. In diesem Sinne – danke.
WP: Schön! Ich danke auch.