„Graffiti hat auf Zügen angefangen“
Willi Koenen, Bereichsleiter Qualität und Sicherheit des SPNV, und seine Stellvertreterin Yvonne Hanke zu Besuch im Graffiti-Atelier: Bei einem Gespräch mit Kai „Semor“ Niederhausen und Alexander Gnida geht es nicht nur um den Bahnhof Eitorf, den die beiden Künstler gemeinsam im Auftrag von go.Rheinland und der Deutschen Bahn verschönert haben. Es geht auch um die Geschichte der Graffitikunst, um die negative Seite der Street-Art und um mangelnden Respekt.
Riesenauftrag mit 500 Quadratmetern Fläche
Willi Koenen (WK): Hallo Kai, hallo Alex. Schön, dass wir Euch in Kais Atelier besuchen dürfen. Es ist nun ein halbes Jahr her, dass Ihr den Bahnhof Eitorf verschönert habt. War das Euer erstes Projekt an einem Bahnhof und wie steht Ihr dazu?
Kai „Semor“ Niederhausen (KSN): Tatsächlich war es in dem Umfang bei mir das erste Projekt.
Alexander Gnida (AG): Für mich auch.
KSN: Ich hatte zuvor mal eine Bahnunterführung gestaltet. Das war aber im Rahmen eines Graffiti-Jam, wofür die Bahn die Unterführung freigegeben hat. Aber eine konkrete Zusammenarbeit mit Euch als Aufgabenträger oder der DB gab es tatsächlich bis dahin nicht.
Yvonne Hanke (YH): War die Anfrage dann also überraschend anfangs?
KSN: Also für mich auf jeden Fall. Ich habe mich aber mega gefreut, weil ich erstens den Haltepunkt kenne und tatsächlich auch, weil es so ein Riesen-Auftrag war. Man hat schon mal kleinere Flächen, wo 100 Quadratmeter gestaltet werden können. Aber du hast selten so ein umfangreiches Projekt, wo knapp 500 Quadratmeter zusammenkommen. Zudem war der Bahnhof in Eitorf auch architektonisch eine kleine Herausforderung. Wie gestaltet man es, ohne dass es zu aufdringlich wird.
AG: Kai hat mich dann gefragt, ob ich das Projekt mit ihm zusammen machen möchte und ich habe direkt zugesagt. Besonders erfreulich war, dass wir relativ freies Spiel hatten und uns kaum Vorgaben gemacht wurden.
WK: Ist es also sonst so, dass immer klar gesagt wird, was kommen soll?
KSN: Na ja, gerade im ländlichen Raum heißt es natürlich immer „Wir brauchen den röhrenden Hirsch, wir brauchen Landschaft“. Aber genau sowas wollen wir nicht machen. Daher war ich froh, dass Ihr da so entspannt wart und uns unser Kunstwerk habt machen lassen.
YH: Was waren Eure Gedanken hinter dem Kunstwerk? Wie seid Ihr auf die Idee gekommen?
AG: Wir haben im vorletzten Jahr in Osnabrück in der Bürgerpark-Galerie das erste Mal zusammen einen Raum gestaltet und dort bereits mit grafischen Flächen gearbeitet und gemerkt, dass unsere Stile gut zusammenpassen. Ich habe dann ein paar seiner Arbeiten am iPad mit meinen Sachen collagiert. Und als ich es Kai geschickt hatte, wussten wir schnell: Die grobe Richtung passt.
KSN: Im Endeffekt wollten wir ein begehbares Kunstwerk schaffen und Kunst erlebbar machen. Die Unterführung ist ja so ein bisschen wie eine Schlucht und wenn man bedenkt, wie das früher aussah, drängt sich schon der Ausdruck „Angstraum“ auf. Deshalb haben wir versucht, mit unserer Kunst diese Architektur ein Stückweit aufzubrechen, aber auch dem verbauten Beton Respekt zu zollen.
Fertigstellung im laufenden Betrieb
WK: Wie lange hat der Prozess grob gedauert, alles zu planen und dann umzusetzen?
AG: Die reine Planung hatten wir in etwa einer Woche fertig.
KSN: Wir mussten auch beim Gestalten Gas gegeben, weil die kalte Jahreszeit immer näher rückte. Und dann hatten wir richtig Glück, denn wir hatten den letzten Strich gemacht und die Tage danach wurden bitterkalt. Das Kunstwerk ist in mehreren Schritten entstanden: erstmal Unterführungen sauber machen, alles schleifen – die Flächen, dann die Fliesen – anschließend die Flächen grundieren und dann malen. Wir haben 50 bis 60 Liter Streichfarbe gebraucht und rund 120 Sprühdosen in zehn verschiedenen Farben. Und das im laufenden Betrieb.
WK: Seid Ihr von Fahrgästen angesprochen worden?
KSN: Jederzeit. Also da war immer Ansprache, ob das jetzt positiv oder negativ war. Natürlich hast du dann auch Leute, die sich während des Prozesses mit dem Schuh an einer der Wände abstützen. Und wenn du die fragst „Was machst du denn da?“, dann kriegst du zu hören „Was regst du dich auf? Das ist die Unterführung der Deutschen Bahn, die sieht doch in drei Wochen wieder ******* aus.“ Da muss ich dann schon meinen Mund aufmachen, weil ich mir denke „Ey, hab mal ein bisschen Respekt“. Aber im Großen und Ganzen war es eine runde Geschichte. Gerne erinnere ich mich an die Verkäuferin beim Bäcker. Da waren wir Stammgäste und sie hat voll abgefeiert, dass sich was tut, und generell waren die Leute positiv beeindruckt.
Darum investiert go.Rheinland in Kunstgraffiti
Aus seinem jährlich erscheinenden Stationsbericht zieht go.Rheinland wichtige Erkenntnisse für die Verbesserung der Bahnhöfe und Haltepunkte in seinem Verbandsgebiet. Ein großes Problem sind Vandalismusschäden: zerstörte Mülleimer und Informationsvitrinen, Schmierereien. Zu möglichen Maßnahmen, um die Aufenthaltsqualität an den Haltepunkten zu erhöhen, gehören auch Kunstgraffiti. Die beauftragten und hochwertig gestalteten Malereien geben den Stationen ein freundliches Erscheinungsbild und helfen im Idealfall dabei, neuerliche Vandalismusschäden durch Schmierereien zu verhindern oder wenigstens einzugrenzen.
Ein „Ego-Ding“ mit Gefahrenpotenzial
WK: Habt Ihr den Eindruck, dass Bahnhöfe und ihr Umfeld mehr zerstört werden als andere Flächen im öffentlichen Raum?
AG: Durch den hohen Durchlauf an Reisenden kann es natürlich mehr sein, als an anderen Flächen. Ich würde es mal so beschreiben: Bahnhöfe sind spezielle Orte. Nicht nur, was Graffiti angeht, sondern auch allgemein, weil dort so viele unterschiedliche Menschen zusammentreffen. Wer sich schonmal ein paar Stunden am Hauptbahnhof aufgehalten hat, der weiß, wovon ich spreche.
KSN: … ein ganz eigener Mikrokosmos. Das ist so und es gibt eine bestimmte Art des Umgangs. Der ist sehr schnelllebig. Alle sind unterwegs oder der Zug hat Verspätung, also gibt es da immer schnell so eine Frustration. Und auf der anderen Seite Freude, weil sich dort auch Menschen begegnen, die sich lange nicht gesehen haben.
AG: Unter den vielen Menschen, die jeden Tag an einem Bahnhof unterwegs sind, sind immer mal ein paar Leute dabei, die sich dort verewigen wollen.
WK: Was ist der Gedanke dahinter? Ich meine, ich habe erst heute Morgen wieder ein Bild bekommen von einer S-Bahn am Hansaring. Komplett vollgesprüht, die Fahrgäste können nicht mehr rausgucken. Sieht auch nicht super-gut aus. Was ist da der Hintergedanke? Einfach dass diese Symbole durch die Gegend fahren und dadurch noch mehr wahrgenommen werden?
KSN: Ja. Wenn wir es runterbrechen, ist das ein Ego-Ding. Graffiti-Kunst hat auf Zügen angefangen. Also geht es darum, seinen Namen überall zu sehen. Und ja, es ist auch dieses „Hey guckt, ich hab‘s geschafft“.
WK: Und macht Kunstgraffiti auf freigegebenen Flächen das besser?
KSN: Ich glaube, dass es sich durch legale Flächen nicht verhindern lassen wird, dass illegal gesprüht wird. Aber es ist definitiv so, dass es in der Szene einen Kodex gibt, nach dem man keine Werke anderer Künstler übermalen sollte. In Hotspots wie Ehrenfeld oder Nippes ist es natürlich eine Sondersituation, da wird schneller mal ein Kunstwerk übermalt als an anderen Orten. Allgemein, finde ich, ist Graffiti immer mehr akzeptiert. Ich höre immer wieder, dass die Leute mit der Gestaltung super-happy sind. Und das weltweit, die Leute feiern es ab. Ich fände wichtig, dass noch mehr legale Flächen geschaffen werden, denn die Kids brauchen ja auch einen Ort, wo sie sich austoben können.
WK: Strafverfolgung ist ja nicht das einzige Risiko beim Sprühen. Es hat Unfälle gegeben, bei denen Sprüher der Oberleitung zu nahe gekommen sind. Gibst Du, Kai, das in deinen Workshops den Jugendlichen mit?
KSN: Ja klar. Als erstes kläre ich darüber auf, was legal ist. Also: Wo darf ich sprühen, wo nicht? Aufklärung ist das A und O und dazu gehört auch: Klettert nicht auf Züge, egal, was ihr bei Youtube seht, bei Instagram oder Tiktok. Das erzähle ich denen schon in der Grundschule.
YH: Aber generell passen ÖPNV und Graffiti dann schon zusammen, oder?
AG: Das würde ich auf jeden Fall sagen.
KSN: Ich glaube auch. Aus Graffiti-Maler-Sicht– sorry, dass ich das jetzt so sage, ich weiß, Willi, Du hörst das nicht gerne – darf ein Zug auch mal bemalt sein. Denn dort hat die Szene ihren Ursprung, als in New York zunächst Züge bemalt wurden. Und ich guck mir das immer noch gerne an. Ich finde, Graffiti und Öffentlicher Nahverkehr gehören auf jeden Fall zusammen und werden immer zusammengehören, ob sich Beide mögen oder nicht.
Am Anfang war die Kreide
WK: Wie seid Ihr eigentlich zum Sprühen gekommen?
AG: Ich ganz klassisch mit 15 Jahren über Freunde.
KSN: Bei mir war es tatsächlich mehr so, dass ich mit Kreide im Zimmer rumgekritzelt habe. Ich komme aus der Ecke Wissen an der Sieg, da war nicht viel mit Graffiti. Mein Glück war, dass meine Mama in Köln gearbeitet hat und ich daher immer mal in Köln unterwegs war. Auch durch das Skateboardfahren habe ich hier diverse Leute kennengelernt. Und dann nahm das – wie bei Alex auch – seinen Lauf. Dass ich mittlerweile davon leben kann, hätte ich nie gedacht, aber so ist es.
WK: Und hier unsere Schlussfrage: Gibt es ein Lieblingsprojekt? Muss nicht hier in Köln sein und auch nicht zwingend ein eigenes.
KSN: Ein Kumpel von mir, Tomislav Topic, hat in Berlin den Bahnhof Warschauer Straße bemalt. Den finde ich super, weil die ganze Gestaltung super zu der Architektur passt. Zudem mag ich den Bahnhof Wedding von Kera, weil er da auch Folien auf Scheibe benutzt. Das fand ich richtig cool. Im Kölner Bereich finde ich – und zwar nicht, weil ich selbst dabei war, sondern weil es den Bahnhof unwahrscheinlich aufgewertet hat – den Hansaring richtig gut. Hansaring ist ein farbenfroher Ort, auch durch die multikulturelle Umgebung und jetzt passt auch der Bahnhof dazu.